Im Frühjahr 2023 rollte eine Welle von Meldungen durch die Medienwelt: “…ab 1. September 2023 keine Baugenehmigungen für PV-Anlagen mehr in Tirol notwendig…” (siehe Bezirksblätter-1 oder Bezirksblätter-2, Kommunal.at, Tiroler Tageszeitung, Bauernzeitung). Im Internet findet sich sogar ein offizielles Merkblatt des Landes Tirol (jedoch ohne Datierung) dazu. Seither ist es sehr ruhig um das Thema geworden. Es gab keine weiten Ankündigungen dazu, nicht einmal in den letzten Tagen.
Heute haben wir den 1. September 2023 und ich war gespannt auf die Veröffentlichung im RIS (Rechts-Informations-System des Bundeskanzleramtes), auf welchem alle Gesetze veröffentlicht werden, damit sie auch in Kraft treten können. Der erste Eindruck war ernüchternd: Entgegen meiner Erwartungen lautete die Bezeichnung der Tiroler Bauordnung noch immer auf TBO 2022 und deutete somit an, dass es keine neue Bauordnung gab, wie in einzelnen Artikel in Aussicht gestellt.
Doch ich bohrte weiter und dabei fiel mir auf, dass sich inhaltlich sehr wohl etwas geändert hatte: Der § 28 TBO bezog sich früher immer auf PV-Anlagen mit bis zu 20 m², jetzt steht dort als Grenzwert 100 m². Man muss also doch sehr genau schauen. Damit war der nächste Schritt leicht. Im Kopf des Dokumentes befindet sich der Link auf die Quellen – konkret auf das Protokoll der 7. Sitzung des Landtages vom 5.-7. Juli 2023 und die daraus resultierende Gesetzesänderung mit allen Details ==> Solaranlagen (PV und thermisch) bis zu 100 m² Fläche (das sind ~50 Module und somit ~21 kWp) bedürfen somit weder einer Bauanzeige noch einer Baubewilligung. Das bedeutet allerdings nicht, dass die baulichen Vorschriften (max. 30 cm Abstand, max. 15° Neigung bei Flachdach, Randabstände, ÖVE-Richtlinien R2 und R11, etc.) nicht mehr gelten – diese sind noch immer einzuhalten.
Damit änderten sich allerdings auch andere Details wie:
- Carports heißen nun “Flugdächer”. Der Begriff Carport kommt somit in der Bauordnung nicht mehr vor. Für diese “Flugdächer” gelten die Bestimmungen des § 28 (2) lit g: Bis 15 m² Grundfläche bedarf es einer Bauanzeige, darüber einer Baubewilligung.
- Die Folientunnels im § 28 (2) lit d mutierten zu allgemein gehaltenen “Kulturschutzanlagen bis zu einer Grundfläche von 250 m²”
Gerade in Hinblick auf die Carports und den Bestimmungen des § 28 (2) lit g gibt es eine interessante Feststellung des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 16.12.2021: Auf eine Anfrage der Gemeinde Lermoos heißt es da sinngemäß: “…hinsichtlich der 15 m² Grundfläche ist von der Bruttogrundfläche auszugehen, in welcher Vordächer im Sinne einer geringfügigen Überbauung zu vernachlässigen sind…”
In dieser unverbindlichen Rechtsauskunft eines Landesjuristen für Bau- und Raumordnungsrecht wird somit festgehalten, dass Geräteschuppen, Flugdächer und Überdachungen für Terrassen eine Bruttogrundfläche von 15 m² haben dürfen, und nicht 10 m² (gemäß Ehrwalder Auslegung). Was jetzt eine “geringfügige Überbauung” tatsächlich ist, bleibt jedoch offen und wird im Zweifelsfall vom Landesverwaltungsgericht zu entscheiden sein. Da sich die Verwaltung strikt an die Gesetze zu halten hat (Art. 18 (1) B-VG), steht es ihr auch nicht zu, gesetzlich nicht klar definierte Begriffe mit abschließender Bestimmtheit eigenmächtig festzulegen. Hier wird sicher auch die “Ortsüblichkeit” mitzuberücksichtigen sein. Bei uns sind eher größere Vordächer als in Städten üblich. Somit kann man (meiner Meinung nach) die Relation eines ortsüblichen Vordaches für ein Haus hier durchaus als Vergleich heranziehen.
Gerade dieses Beispiel zeigt die Diskrepanz, in welcher sich ein Bürgermeister als Baubehörde erster Instanz befindet. Es gibt immer einen Graubereich und auch wenn die Tiroler Bauordnung keine Toleranzen kennt (im Sinne des Art 18 (1) B-VG: “…strikte Haltung an Gesetze…”), werden solche in zahlreichen technischen Normen sehr wohl angeführt und sind zu berücksichtigen. Es liegt also am Bürgermeister, ob und wann er eine Auslegung an das Gericht weiterleiten will (selbst anfragen oder Rechtsmittel des Bauherrn riskieren), oder er eine gütliche Einigung mit gegenseitigen Kompromissen anstrebt.
Die Zeiten des Absolutismus sind vorbei und das Tiroler Baurecht ist, wie der Name schon sagt, ein Recht. Somit hat der Bauwerber das Recht so zu bauen wie er will, solange es innerhalb des rechtlichen Rahmens der Tiroler Bauordnung liegt – auch wenn es dem Bürgermeister, dem Bauamt oder dem Sachverständigen (persönlich, geschmacklich, optisch) nicht gefällt. Früher wurde ein Konsens aller betroffenen Parteien (Bauherr, Nachbarn) hergestellt – immer im Rahmen der Gesetze (wenn auch manchmal knapp an deren Rande), was der Sachverständige bestätigte (das war und ist seine Aufgabe). Diese Vorgangsweise galt für ALLE gleichermaßen.
Heute müssen wir leider zur Kenntnis nehmen, dass zahlreiche Bürgermeister (ich beziehe mich idF nicht auf konkrete Personen) ihren Handlungs- und Verhandlungsspielraum sehr unausgewogen nutzen. Was für den einen Bauherrn unmöglich ist, geht bei anderen nahezu problemlos durch. Man hört auch, dass es immer wieder Forderungen nach Grundabtretungen geben soll, um eine Umwidmung oder Baubewilligung erhalten zu können. Ich persönlich bin der Meinung, dass ein derartiges Vorgehen den Straftatbestand der Nötigung, des Amtsmissbrauches oder gar der Bestechlichkeit erfüllen könnte, wobei die Verjährungsfristen wohl über die Amtszeiten hinaus reichen. Ich möchte auch festhalten, dass grundsätzlich für alle die Unschuldsvermutung gilt.
Bauangelegenheiten sind ein äußerst komplexes Thema und es wird nicht einfacher. Aus diesem Grund bin ich (insb. im Hinblick auf die ausgeschriebene Position im Bauamt) der Meinung, dass sich die Gemeinde überlegen sollte, diese wichtigen Positionen zumindest mit einer ausgewiesenen Fachkraft zu besetzen, welche gemäß ihrer fachlichen Kompetenz und Profession in der Lage ist, Bauverhandlungen weitgehend ohne Beiziehung eines externen Sachverständigen zu erledigen. Dies spart Zeit und vor allem Kosten – ganz besonders auf Seiten der Bauwerber. Das wäre Bürgerservice, für den uns viele Gemeinden beneiden würden. Vielleicht ergibt sich hier auch eine regionale Zusammenarbeit, um die Kosten auf Gemeindeseite damit zu minimieren. Dann wäre es eine echte Win-Win Situation für Alle.